Mona Caron - Eine Intragneserin in San Francisco (Auf Deutsch) - Von Tina Stolz
Ob sie über hundert Meter lange Murales, Gemüse-Vignetten, Plakate, Buchumschläge kreiert oder Kinderbücher illustriert, ihre Handschrift ist unverkennbar: akribisch, mit einer Liebe zum Detail und einem ausgeprägten Sinn für die Gesamtkomposition. In manchen Illustrationen und Plakaten sind Jugendstilelemente unverkennbar, andere erinnern an persische Miniaturenmalerei. Die Gemüsevignetten sind von fast wissenschaftlicher Genauigkeit, das labyrinthische Innenleben eines Rotkohlkopfes ein kleines grafisches Meisterwerk. Mit ihren Masken und Kostümen für politische Protestumzüge oder Halloweenfeste, entfacht sie ein Feuerwerk an sinnlicher Farbenlust und fantastischen Theatereffekten.
Mona Caron aus Intragna besuchte in San Francisco die Academy of Art, die sie 1996 mit der Auszeichnung cum laude im Fach Illustration abschloss. Sie versteht sich nicht als Künstlerin, sondern als eine Exponentin der angewandten Kunst. Mit ihren zwei grossen Murales, Market Street Railway mural und Duboce Bikeway mural, hat sie Auszeichnungen eingeholt und sich einen Namen weit über San Francisco hinaus gemacht. Mit dieser Ausdrucksform knüpft sie an eine Tradition an, die in Mexico mit Diego Rivera berühmt geworden ist. Doch bereits unsere Ahnen aus grauer Vorzeit haben mit ihren Höhlenmalereien und Felszeichnungen eine Symbolsprache erfunden, die uns noch heute beeindruckt, so wie später das Fresko, das in der Renaissance zur Hochblüte fand. In diese Fussstapfen tritt Mona Caron mit ihren öffentlichen Wandbildern, heute street art genannt. Sie ermöglichen einen direkten Zugang und den Dialog mit dem Publikum, ohne dass dabei eine Museumsschwellenangst zu überwinden wäre. In ihren Murales gelingt es ihr, Realität und Traum in eine Zukunftsvision zu wandeln, die nicht nur ihren eigenen Vorstellungen, sondern auch dem Zeitgeist eines sozial-politischen Anliegens entspricht. Die San Francisco Bicycle Coalition zum Beispiel, setzt sich seit Jahren für ein menschen- und umweltwürdigeres Umfeld ein, bekämpft den privaten Verkehr zu Gunsten des öffentlichen, zeigt Alternativen für einen fussgänger- und velofahrergerechten Lebensraum auf. Dieses Engagement hat in San Francisco Tradition, und viele Künstler sind aktiv darin involviert. Mona Caron verpackt ihre kritische Aussage in heitere Bildgeschichten, die, wie sie selbst sagt, dem trojanischen Pferd gleichen, in dessen Bauch die tapferen Helden den richtigen Moment zur Eroberung der Stadt abwarten. Wir wollen nicht nur Brot, sondern auch Rosen , sagt Mona. Nicht verwunderlich, dass sie hier eine Atmosphäre und einen Humus gefunden hat, die dem Saatgut ihrer Kindheit ermöglichen sich zu entfalten und zu wachsen.
Mona wuchs in einer künstlerisch begabten Familie auf. Von ihrem Vater Peter Bissegger, dem bekannten Bühnenbildner und ihrer Mutter Bethli, der Couturière, hat sie sowohl den Sinn für Ästhetik als auch die Begabung zur Gestaltung mitbekommen, wie ihre älteren Geschwister, Meret, die fantasievolle, naturverbundene Köchin und Mario, der Schreiner und Erfinder kluger Möbelmodule. Die Kindheit im Haus über dem kleinen Wildbach in der Campagna von Intragna - Natur pur - hat sie alle geprägt.
Dem Auswandern von Mona Caron anfangs der 90er Jahre nach San Francisco, gingen eine Reise nach Japan und ein Studium an der Universität Zürich in Englisch und Japanologie voraus. Es ist vielleicht interessant daran zu erinnern, dass nicht viel mehr als 100 Jahre zuvor, durch Armut und Hunger aus ihren Tessiner Bergtälern vertrieben, die stärksten und mutigsten jungen Männer in Australien und Kalifornien ihr Glück suchten. Einer dieser Auswanderer, ein Piazzoni aus Intragna, kam in Australien zu Reichtum. Als er sich später in San Francisco niederliess, holte er seinen Sohn Gottardo zu sich. Gottardo Piazzoni (1872-1945) wurde, nach dem er die dortigen Kunstakademie besucht hatte, ein bekannter Landschaftsmaler und hinterliess ebenfalls seine Spuren an den Mauern der Stadt: er schmückte mit seinen Fresken die Städtische Bibliothek.
Was aber treibt heute eine junge, mutige und begabte Frau wie Mona Caron zur Emigration? Hat sie ihr Glück gefunden? Ich suchte nach neuen Horizonten... und traf auf vieles, das ich gar nicht erwartet hatte, zum Beispiel meinen Durchbruch im Bereich Illustration: da ich mich weder als galerieträchtige Künstlerin noch also Grafikerin sah, wusste ich erst nicht, wohin mit meiner Lust zum Zeichnen. In San Francisco fand ich grosse Unterstützung für meine Aktivitäten. Mir scheint, in der Schweiz wäre dieser Prozess schwieriger gewesen, weil man nur durch offizielle und akademische Kanäle einen Status erreicht. Hier ist die Situazion mehr free-form . Noch bevor ich die Akademie beschlossen hatte, boten sich mir bereits Möglichkeiten, die dort kaum einem Anfänger in den Schoss fallen würden. Mir gefällt es in San Francisco. Da ich mit verschiedenen Kreisen und Volksgruppen der Stadt in Berührung bin, ist mir die ganze Welt nahe. Dieselbe soziale Bewegung, die mich zu Anfang unterstützt hatte, drängt mich zu immer neuen Initiativen. Und so kommen und gehen die Dinge, die Spannung bleibt lebendig und gibt mir die Energie, mich weiter zu entwicklen.